Im Nacken der Giganten
Forschung für die Neugestaltung der Fahrerkabine eines Geländefahrzeuges
planung-analyse | Heft 4 | 2024
Um die echten Bedürfnisse von Nutzerinnen und Nutzern zu verstehen, muss man ihnen manchmal ganz nahe kommen. Mit Ethnographie und UX Forschung ist das Team von Produkt + Markt mit zahlreichen Expertinnen und Experten in die Welt von Fahrern von Geländefahrzeugen eingetaucht. In einem mehrstufigen Design-Thinking-Prozess mit Co Creation wurde eine Fahrerkabine optimiert.
Julia David berichtet, wie man hierbei vorgegangen ist.
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Stellen Sie sich vor, Sie steuern ein mächtiges Geländefahrzeug durch eine wilde, zerklüftete Landschaft, und zwar im Dunkeln. Die Fahrerkabine wird dabei zu Ihrem persönlichen Rückzugsort. Sie ist gleichzeitig ein hochfunktionales Arbeitsinstrument, das in Bezug auf Ergonomie, Benutzerfreundlichkeit und Komfort optimal ausgestattet sein sollte. Diesen Ort haben wir in einem Innovationsprojekt durchleuchtet, um ihn in enger Zusammenarbeit mit dem Hersteller, einem weltweit führenden Anbieter von Geländefahrzeugen, und Experten für Ergonomie und Usability so zu verbessern, dass er sowohl funktional als auch emotional überzeugt.
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Erfolgreiche Innovation durch Empathie und Nutzerzentrierung
"Nicht nur leere Worthülsen, sondern in einem sehr mutigen und nachdrücklichen Leuchtturmprojekt von uns so erfolgreich umgesetzt. Denn Unternehmen, die auf nutzerzentrierte Ansätze setzen, profitieren von tieferem Verständnis der Endnutzer und entwickeln Lösungen, die langfristig am Markt bestehen."
Julia David
Julia David
Wir wählten für dieses Projekt einen Design-Thinking-Prozess, einen bewährten strukturierten Ansatz zur Lösung komplexer Probleme. Der Prozess erstreckt sich über sechs Phasen: 1. Beobachten, 2. Einfühlen und Verstehen, 3. Definieren, 4. Ideenfindung, 5. Prototyping und 6. Testen. Jede Phase hat spezifische Ziele und Aufgaben, die darauf abzielen, das Verständnis für die Nutzerbedürfnisse zu vertiefen und innovative Lösungen zu entwickeln.
Phase 1 und 2: Empathie durch ethnografische Forschung
Unsere Arbeit begann mit einer tiefgehenden ethnografischen Forschung in Kombination mit UX-Research. Dies ermöglichte, das Verhalten, die Herausforderungen und die Bedürfnisse der Fahrer der Geländefahrzeuge direkt vor Ort zu beobachten und dabei Usability-Probleme zu erkennen. Unsere ethnografischen Forscherinnen und Forscher begleiteten dabei die Fahrer an ihrem Arbeitsplatz live und waren ausgestattet mit ausgereifter Technik wie GoPro-Kameras mit Nachtsichtfunktion und hochempfindlichen Ansteckmikrophonen. In über 40 mehrstündigen Mitfahrten in verschiedenen Ländern entstanden unzählige Stunden Videomaterial zu unterschiedlichen Problematiken der User Experience (UX). Durch die Beobachtung und Befragung gewannen wir zudem detaillierte Einblicke in die realen Herausforderungen, mit denen Fahrer solcher Geländefahrzeuge in Europa und den USA konfrontiert sind.
Diese tiefgehende Forschung deckte zentrale Probleme auf: Sind die Fahrer sehr groß, ist der Platz in einigen Fahrzeugmodellen zu gering, was zu erheblichen ergonomischen Beschwerden der Nutzer führte. Zudem zeigten sich Defizite in der Sicht und der Beleuchtung, beides Punkte, die die Sicherheit gefährden. Auch die Anordnung der Bedienelemente ließ Raum für Verbesserungen. Mit diesen klaren Erkenntnissen konnten wir in die nächste Phase des Design-Thinking-Prozesses eintreten.
Diese tiefgehende Forschung deckte zentrale Probleme auf: Sind die Fahrer sehr groß, ist der Platz in einigen Fahrzeugmodellen zu gering, was zu erheblichen ergonomischen Beschwerden der Nutzer führte. Zudem zeigten sich Defizite in der Sicht und der Beleuchtung, beides Punkte, die die Sicherheit gefährden. Auch die Anordnung der Bedienelemente ließ Raum für Verbesserungen. Mit diesen klaren Erkenntnissen konnten wir in die nächste Phase des Design-Thinking-Prozesses eintreten.
Phase 3 bis 6: der Workshop als Kreativschmiede
Nach der umfangreichen Ergebnisaufbereitung und -präsentation aus den ethnografischen UX-Interviews folgte ein dreitägiger Design-Thinking-Workshop gemeinsam mit dem Hersteller in einer Workshop-geeigneten Location. Hierbei kamen 60 internationale Experpertinnen und Experten sowie Nutzer zusammen – darunter Mitarbeitende des Herstellers, Fahrer der Geländefahrzeuge, Ergonomie und UX-Experten sowie Illustratoren und technische Zeichner. Diese interdisziplinäre Gruppe brachte nicht nur vielfältige Perspektiven mit, sondern sorgte auch für eine spürbar kreative Atmosphäre.
Tag 1: Einfühlen, Verstehen und Definieren
Am ersten Tag lag unser Fokus darauf, den Teilnehmenden des Workshops das Wissen über die Herausforderungen, vor denen die Fahrer stehen, zu vermitteln. Dazu hatten die ethnografisch Forschenden aus den unzähligen Stunden an Videomaterial der UX-Interviews, filmische Zusammenfassungen aufbereitet, damit sich die Teilnehmenden noch besser in die Fahrer und ihren Arbeitsalltag hineinfühlen konnten. Darüberhinaus standen auch verschiedene Modelle der Geländewagen vor Ort zur Verfügung. Die Workshop-Teilnehmer konnten sich in die Kabinen setzen und dort die identifizierten Probleme authentisch erkennen und ihnen nachspüren. Sie erhielten an verschiedenen Stationen Self- Experience-Aufgaben und sollten sich dafür in bestimmte Personas eindenken, die problembehaftete Aufgaben erledigen müssen. Zum Beispiel: „Verstelle einmal deinen Sitz, so dass du gut vor das Fahrzeug schauen kannst und gleichzeitig noch alles hinter dem Fahrzeug im Blick hast. Gleichzeitig solltest du bequem sitzen und alles gut erreichen können.“ Diese immersive Phase versetzte die Teilnehmenden weitestmöglich in die Lage der Fahrer. So konnten sie die erkannten Pain Points hautnah erleben und in Empathie-Maps festhalten. In einer Empathie-Map visualisiert man die Erfahrungen und Erwartungen der Zielgruppe, was sagt, denkt, fühlt und tut die imaginierte Person. Diese praktische Herangehensweise ermöglichte ein echtes Verständnis und eine klare Definition der zentralen Probleme und schuf die Grundlage für die nachfolgenden kreativen Prozesse.
Tag 2: Ideenfindung, Prototyping und Testen
Der zweite Tag stand ganz im Zeichen kreativer Ideenfindung. Mit innovativen Methoden wie „Crazy 8“ und „Lotusblüte“ entwickelten die Teilnehmenden in Kleingruppen eine Vielzahl von Lösungsideen. Die besten Ansätze wurden identifiziert und direkt in die Prototyping-Phase überführt. Hier erlebten die Teilnehmenden einen der spannendsten Momente: Sie sahen, wie aus ihren abstrakten Ideen mit Hilfe verschiedenster Materialien, darunter Pappe, Knete, Styropor, Schaumstoffe, aber auch Zeichnungen der Industriedesigner, konkrete greifbare Prototypen entstanden. Diese wurden zum Ende des Tages in kurzen, prägnanten Präsentationsvideos vorgestellt, was den kreativen Prozess abrundete und die Teilnehmenden mit einem Gefühl von Stolz in das Abendprogramm entließ.
Im Hintergrund lief nun noch ein besonderes Highlight dieses Workshops...
Im Hintergrund lief nun noch ein besonderes Highlight dieses Workshops...
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im-nacken-der-giganten-04-2024.pdf
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"Wichtig bei dieser Art von Projekten: Die erfolgreiche Durchführung solcher Innovationsprojekte erfordert nicht nur die richtige Methodik, sondern auch ein Team, das diese komplexen Prozesse versteht und steuern kann. Wir bei Produkt + Markt verfügen über ein erfahrenes, interdisziplinäres Team aus Ethnografen, Design Thinkern und UX-Experten, die tiefgreifende Kompetenz in Marktforschungsmethoden, Innovationsforschung und Workshop-Gestaltung vereinen. Dies ermöglicht nicht nur tief in die Nutzerbedürfnisse einzutauchen, sondern auch die nächsten Schritte und entscheidenden Prozesse im Innovationszyklus vorausschauend zu planen. Diese einzigartige Expertise und Erfahrung stellt sicher, dass wir maßgeschneiderte Lösungen entwickeln, die sowohl effizient als auch praxisnah umgesetzt werden."
Julia David
Julia David
Julia David ist Diplom-Psychologin, Senior Research Consultant und Group Managerin des qualitativen Expertenteams „explore + evolve“ bei Produkt + Markt. Ethnografie ist ihr Spezialgebiet. Darüber hinaus ist sie zertifizierte Leiterin für Design Thinking, Agile Coach und Trainerin für weitere Innovationsmethoden. Julia David leitet schwerpunktmäßig qualitative Marktforschungsstudien für große und mittelständische Unternehmen und begleitet bei der Entwicklung von Veränderungen und Neuerungen.